Glossar rhetorischer Termini |
Aemulatio (s. auch Imitatio): Wetteiferndes Nachahmen und Überbieten eines Vorbildes
Alliteration: Übereinstimmung im Anlaut benachbarter Wörter
Allocutio: s. Gliederung der klass. Rede
Anapher: Wiederholung eines oder mehrerer Wörter zu Beginn mindestens zweier Satz- oder Verseinheiten
Anagramm: Umstellung der in einem Namen (Satz, Wort, Wortgruppe) enthaltenen Buchstaben zu anderer Reihenfolge und neuer Semantik
"angemessener Schmuck" = aptum: Stilprinzip der Angemessenheit, das Grundlage jeder rhetorischen Kongruenz bildet. - Durch Angemessenheit sollen die in der Rede angestrebten Publikumsreaktionen gewährleistet werden. Der Stil einer Rede soll auf das gewählte Thema, den Anlaß und das Publikum abgestimmt sein.
Anticipatio adiectivi: Siehe Prolepsis
Antithese: Gegenüberstellung gegensätzlicher Begriffe und Gedanken in einem Satz oder einer Satzfolge, die häufig verschiedene Aspekte eines Oberbegriffs oder Themas darstellen. Eine Sonderform ist das Oxymoron
Apokope: Verkürzung eines Wortes durch Wegfallen eines Lautes am Wortende
Argumentatio: Teil der rhetorischen Dispositio mit dem Ziel der Begründung des eigenen Standpunkts (probatio, confirmatio) und der Widerlegung des gegnerischen (refutatio)
Argutia: Barockes Stilprinzip der Scharfsinnigkeit / des Witzes, das Grundlage verrätselter Wortspiele und Pointen ist.
Assonanz: Gleichklang von Vokalen bei unterschiedlicher konsonantischer Umgebung
Asyndeton: Reihung von Wörtern, Satzteilen oder Sätzen ohne koordinierende Konjunktion
Aufforderungstopos: Im Exordium verwendeter Topos, der eine Aufforderung an Hörer / Leser einer Rede beinhaltet.
Carmen figuratum: Gedicht, bei dem die Verse durch ihre Länge und druckgraphische Anordnung den Umriß eines Gegenstandes darstellen oder bei dem im linearen Text ein sog. Intext mit eigenem Inhalt in figurativer Form druckgraphisch hervorgehoben ist
Conclusio: s. Gliederung der klass. Rede
Descriptio loci: detaillierte Beschreibung eines fiktiven (topothesia) oder realen Ortes (topographia) mit Hilfe bereitgestellter Topoi
Dispositio: In der Schulrhetorik die Kunst der wirksamen Anordnung der in der Inventio erschlossenen Argumente (Stoffmomente)
Ekphrasis (Descriptio): Stilmittel der Amplifikation, bei der ein Gegenstand durch Aufzählung sinnlich wahrnehmbarer Details beschrieben und veranschaulicht wird, daß er dem Leser gleichsam "vor Augen steht"
Ellipse:Rhetorische Figur der Auslassung eines oder mehrerer Satzglieder.
Enjambement: Stilmittel der gebundenen Rede. Weiterführung eines Satzgefüges über das Versende hinaus im nächsten Vers
Enumeratio: Teilung einer Substanz, d.h. einer unveränderlichen Größe, in ihre Akzidenzien, d.h. Eigenschaften, und Aufzählung derselben; ebenso die Aufzählung der einzelnen Ursachen einer Wirkung
Epicedium: Form der Casualpoesie (Gelegenheitsdichtung): Grabgedicht
Epitalamium: Form der Casualpoesie (Gelegenheitsdichtung): Hochzeitsgedicht
Epode: Drittes Element der triadischen Form der Pindarischen Ode, Abgesang
Exempla (- Reihung): (Reihung von) Beispiele(n) in der Argumentatio
Exordium: Teil der rhetorischen Dispositio mit dem Ziel der Erregung der Aufmerksamkeit der Adressaten.
Gliederung der klassischen Rede (oratio): Die klassische Rede wird i.a. in folgende Strukturtypen gegliedert:
Hendiadyoin: Ersetzung eines Begriffs durch zwei synonyme, über die Konjunktion "und" verbundene Wörter
Homoioteleuton: Eine Form der Assonanz, bei der der Gleichklang – ähnlich einem "Reim" – in den letzten Silben oder Wörtern eines Isokolon oder Verses auftritt.
Huldigungstopos: Topos zur Huldigung weiblicher Schönheit
Hyperbel: Ersetzung des dem Gegenstand angemessenen Ausdrucks durch einen übertreibenden Ausdruck
Imitatio (s. auch Aemulatio): Nachbildung literarischer Muster, v.a. in bezug auf vorbildhafte Stilhaltung und Formauffassung
Incrementum: Rhetorische Figur der Erweiterung eines Themas durch eine Kette von graduell gesteigerten Bezeichnungen
Interjektion: Rhetorische Appellfigur des in einen Satzzusammenhang eingeschobenen Ausrufes
Inversion: Umkehrung der gebräuchlichen syntaktischen Wortfolge
Isokolon: In einer Periode: Folge zweier oder mehrerer syntaktisch selbständiger Sätze oder von einem gemeinsamen Satzteil abhängiger Satzglieder, die sich in Bezug auf Konstruktion, Wort- und z. T. auch Silbenzahl ähnlich sind. (s. Homoioteleuton)
Jambus: Versmaß, das aus der Alternation einer unbetonten und einer betonten Silbe besteht
Locus amoenus: Idealer Lustort aus bestimmten stereotypen Elementen wie Hain, Quelle, Bach, Vogelgesang, heiterem Himmel etc.
Merismus: Stilmittel der biblischen Lyrik, in dem eine Gesamtheit durch zwei gegensätzliche Begriffe ausgedrückt wird
Metonymie: Ersetzung eines Begriffs durch einen anderen, der zu ihm in einem realen, d. h. kausalen, räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang steht.
mittlerer Charakter = genus medium: mittlere Stilebene. In der normativen Poetik werden drei Stilebenen unterschieden, die als hoch, mittel und niedrig klassifiziert werden. – Texte der mittleren Stilebene sollen v.a. erfreuen = delectare. Der primäre Textbereich des genus medium ist die epideiktische Redegattung, Lyrik (z.B. Sonett) und Komödie. Kennzeichen dieser Stilebene ist die verhaltene Verwendung von Schmuckmitteln.
Oxymoron: Extremform der Antithese: enge Verbindung von einander gedanklich-logisch ausschließenden Begriffen
Palindrom: Text, der vowärts wie rückwärts gleich zu lesen ist
Paradoxon: Rhetorische Figur einer scheinbar widersprüchlichen Behauptung. Im Barock und in religiöser Literatur besonders häufig verwendet zur Auflösung rational nicht erklärbarer theologischer Aussagen
Parallelismus: Rhetorische Figur der syntaktischen Parallelität gleichrangiger Texteinheiten
Parallelismus membrorum: Stilmittel der biblischen, hebräischen Lyrik, durch das ein Thema in zwei aufeinanderfolgenden Versen wiederholt wird
Parenthese: Unterbrechung einer geschlossenen Satzkonstruktion durch einen grammatikalisch eigenständigen Einschub, der durch Gedankenstriche oder Kommata abgetrennt wird
Paronomasie: Wortspiel mit Wortbedeutungen durch die Verwendung von Wörtern mit verschiedener Bedeutung bei partieller morphologischer Übereinstimmung
Pars pro toto: Sonderfall der Synekdoche, bei dem ein Teil eines Gegenstandes für das Ganze steht
Peroratio: Teil der rhetorischen Dispositio, Redeschluß mit kurzer Wiederholung der Beweis- führung und Aufforderung an die Adressaten, sich der vertretenen Meinung anzuschließen
Personifikation: Darstellung von Abstrakta, von Kollektiva, von Naturerscheinungen oder von leblosen Dingen als handelnde menschliche Gestalten
persuadere: Effektziel der Rhetorik. Das Effektziel der klassischen Rhetorik wird mit dem lateinischen Ausdruck "persuadere" bezeichnet, der im Deutschen auf zweifache Weise übersetzt werden kann, nämlich mit "überzeugen" und "überreden". Der stark wirkungsbezogenen Wissenschaft der Rhetorik stehen damit zwei Mittel zur Umstimmung des Publikums / Hörers / Lesers einer Rede zur Verfügung: "Persuadere" in der Bedeutung von "überzeugen" fungiert als intellektuelles Umstimmungselement, wohingegen beim "Überreden" die emotionale Komponente im Vordergrund steht. Beide Bestandteile des Wirkziels "persuadere" bringt die deutsche Übersetzung von "Rhetorik" als "Kunst des Überzeugens und Überredens" zum Ausdruck.
Prolepsis anticipatio adiectivi: Vorwegnahme eines erst im Prädikat eines Satzes begründeten Resultats durch ein Adjektiv-Attribut zu einem Substantiv
Suasorie: s. Werbung. rheotorische Redeübung
Sylven = Wälder: barocke Gelegenheitsdichtung, die zu bestimmten öffentlichen und privaten Anlässen (oft auch als Auftragsdichtung) verfaßt wurde. - Anlässe für Sylven sind z.B. Geburt, Taufe, Hochzeit, Tod, Herrscherlob etc.
Topographia: Siehe Descriptio loci
Topos = locus, Ort: Rhetorische Formkategorie, festgefügte Wendungen, Formeln, Bilder, die sich in bestimmten Teilen der klassischen Rede anwenden lassen bzw. auf bestimmte Themen passen. – Anweisung zum Auffinden konkreter Topoi gibt die Lehre der Topoi, die Topik: Die auf Aristoteles zurückgehenden lehrhaften Sammlungen von relevanten Fragestellungen und Suchformelm gingen ein in die spätantiken und mittelalterlichen Rhetoriken, erlangten im Humanismus gesteigerte Bedeutung und fanden ihren Höhepunkt im Barock. Immer detailliertere Anweisungen zu Topoi und ihren jeweiligen poetischen Ausführungen (z.B. G. Ph. Harsdörffers "Poetischer Trichter" oder C. Stielers "Sekretariatskunst") bewirkten eine Erstarrung von Topoi zu Klischees.
Trochäus: Versmetrum, das aus der Alternation einer betonten und einer unbetonten Silbe besteht
Tropus: Rhetorische Figur des Ersatzes einer im Kontext erwartbaren semantischen Einheit durch eine in bestimmter Hinsicht bedeutungsverwandte Einheit
Utopie: s. Werbung. philosophischer Entwurf eines Idealstaates
Waise: Reimloser Vers im Reimgedicht
Werbung: Die Werbung gehört der deliberativen Redegattung (genus deliberativum) an, deren Funktion die der Mahnung oder Warnung ist. Dabei soll Schaden abgewendet oder verhindert werden, der Nutzen einer Aktion steht im Vordergrund. Primäre Zeitreferenz der deliberativen Rede ist die Zukunft. – Neben der Werbung gehören auch politische Rede, Lehrdichtung, Predigt, Utopie und Suasorie der deliberativen Gattung an
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