Erlanger Liste



    Heinrich Gottfried Bretschneider


Eine entsetzliche
Mordgeschichte
von dem
jungen Werther.
wie
sich derselbe den 21 December
durch einen Pistolenschuß ei-
genmächtig ums Leben gebracht.
Allen jungen Leuten zur War-
nung, in ein Lied gebracht, auch
den Alten fast nutzlich
zu lesen.


Im Thon:
Hört zu ihr lieben Christen &

1776


    1.
    Hört zu ihr Junggesellen
    Und ihr Jungfräulein zart
    Damit ihr nicht zur Höllen
    Aus lauter Liebe fahrt.

    2.
    Die Liebe, traute Kinder!
    Bringt hier auf dieser Welt
    Den Heil'gen wie den Sünder
    Um Leben Gut und Geld.

    3.
    Ich sing euch von dem Mörder,
    Der sich selbst hat entleibt
    Er hies: der junge Werther
    Wie Doctor Göthe schreibt.

    4.
    So witzig, so verständig
    So zärtlich als wie er
    Im Lieben so beständig
    War noch kein Sekretair.

    5.
    Ein Pfeil vom Liebesgotte
    Fuhr ihm durchs Herz geschwind
    Ein Mädchen, sie hies Lotte
    War eines Amtmanns Kind.

    6.
    Die stand als Vice-Mutter
    Geschwistern treulich vor
    Und schmierte Brod mit Butter
    Dem Fritz und Theodor.

    7.
    Dem Liesgen und dem Kätgen
    So traf sie Werther an
    Und liebte gleich das Mädgen
    Als wär's ihm angethan.

    8.
    Wie in der Kinder Mitte
    Sie da mit munterm Scherz
    Die Butterahmen schnitte
    Da raubt' sie ihm das Herz.

    9.
    Er sah, beklebt mit Rotze
    Ein feines Brüderlein
    Und küßt' dem Rotz zum Trotze
    An ihm, die Schwester sein.

    10.
    Fuhr aus, mit ihr zu tanzen
    Wohl eine ganze Nacht
    Schnit Menuets der Franzen
    Und walzte, daß es kracht'

    11.
    Sein Freund kam angestochen
    Blies ihm ins Ohr hinein
    Das Mädgen ist versprochen
    Und wird den Albert freyn.

    12.
    Da wollt' er fast vergehen
    Spart' weder Wunsch noch Fluch
    Wie alles schön zu sehen
    In Doktor Göthes Buch

    13.
    Kühn gieng er, zu verspotten
    Geschick und seinen Herrn
    Fast täglich nun zu Lotten,
    Und Lotte sah ihn gem.

    14.
    Er bracht den lieben Kindern
    Lebkuchen, Marcipan
    Doch alles konnt's nicht hindern,
    Der Albert wurd ihr Mann

    15.
    Des Werthers Angstgewinsel
    Ob diesem schlimmen Streich
    Mahlt Doktor Göthes Pinsel
    Und keiner thut's ihm gleich.

    16.
    Doch wollt er noch nicht wanken
    Und stets bey Lotten seyn,
    Dem Albert macht's Gedanken
    Ihm traumte von Geweyhn.

    17.
    Herr Albert schaute bitter
    Auf die Frau Albertin -
    Da bat sie ihren Ritter
    "Schlag mich dir aus dem Sinn.

    18.
    Geh fort zieh in die Fremde
    Es giebt der Mädchen mehr" -
    Er schwur beym letzten Hemde
    Daß sie die einz'ge wär.

    19.
    Als Albert einst verreiste
    Sprach Lotte "bleib von mir"
    Doch Werther flog ganz dreiste
    In Alberts Haus zu ihr.

    20.
    Da schickte sie nach Frauen
    Und leider keine kam -
    Nun hört mit Furcht und Grauen
    Welch Ende alles nahm.

    21.
    Der Werther las der Lotte
    Aus einem Buche lang
    Was einst ein alter Schotte
    Vor tausend Jahren sang.

    22.
    Es war gar herzbeweglich
    Er fiel auf seine Knie
    Und Lottens Auge kläglich
    Belohnt ihm seine Müh.

    23.
    Sie strich mit ihrer Nase
    Vorbey an Werthers Mund,
    Sprang auf als wie ein Hase
    Und heulte wie ein Hund.

    24.
    Lief in die nahe Kammer
    Verriegelte die Thür
    Und rief mit großem Jammer:
    "Ach Werther geh von mir!".

    25.
    Der Arme muste weichen
    Alberten dem's verdroß
    Konnt's Lotte nicht verschweigen,
    Da war der Teufel los.

    26.
    Kein Werther konnt sie schützen
    Der suchte Trost und Muth
    Auf hoher Felsen Spitzen
    Und kam um seinen Hut.

    27.
    Zuletzt lies er Pistolen
    Im Fall es nöthig wär
    Vom Schwager Albert holen
    Und Lotte gab sie her.

    28.
    Weil's Albert so wollt haben,
    Nahm sie sie von der Wand
    Und gab sie selbst dem Knaben
    Mit Zittern in die Hand.

    29.
    Nun konnt er sich mit Ehre
    Nicht aus dem Handel ziehn
    Ach Lotte! die Gewehre
    Warum gabst du sie hin?

    30.
    Alberten recht zum Possen
    Und Lotten zum Verdruß
    Fand man ihn früh erschossen -
    Im Haupte stack der Schuß.

    31.
    Es lag und das war's beste
    Auf seinem Tisch ein Buch
    Gelb war des Todten Veste
    Und blau sein Rock, von Tuch.

    32.
    Als man ihn hingetragen
    Zur Ruh bis jenen Tag
    Begleit'n ihn kein Kragen
    Und auch kein Ueberschlag

    3 3.
    Man grub ihn nicht in Tempel
    Man brennte ihm kein Licht
    Mensch nimm dir ein Exempel
    An dieser Mordgeschicht!



Travestie im Stile des Bänkelsangs auf Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" (1774).
Text Vorlage
im Projekt Gutenberg.
Verweis Blättern Verweis

Assel Startseite