Erlanger Liste



Hanns von Gumppenberg


DIE ATTACKE

Bä b ä bäbä bäh
Tätä tätä täh -
Klingt es nicht, als ob Trompeten
Zur Attacke tätterätähten?

Nein, die junge Schäferin
Gertet ihre Schafe hin;
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben -
Keines ist zurückgeblieben.
Rackerchen du!
Und zur Ruh'
Setzt sie sich nieder
Auf den Stein,
Lüftet das Mieder,
Und richtet sich ein,
Mitten unter den lieben Schafen
Halb zu träumen und halb zu schlafen.

Bäh bä bäbä bäh-
Täh tä tätä täh...

Aber da bummelt schon her der Junker,
Am Sturmhut die Klunker,
Mit flottem Geflunker,
Er hat erspäht,
Wo ein Röckchen weht,
Und denkt sich: Blitz -
Das gibt 'n Witz!
Das liebe Mädchen,
Schon eingenickt,
Erschrickt,
Aber nicht sehr:
Und er
Ist schon über sie her
Wie eine Bracke -
Bä b ä bäbäbäh,
Tä t ä tätätäh,
Marsch marsch, zur Attacke!
Pianpi a no, fortforte,
Und ganz ohne Worte.

Ich kann nicht sagen, was weiter geschah,
Doch die Schafe bäbähten: Viktoria!

nach Detlev Frhr. von Liliencron




MÄDCHEN IM FRÜHLING

Mein junges Laub zittert im warmen Sturm -
So wach bin ich von mir,
Und doch so sprossend träg und schräg,
Ich sehnendes, dehnendes
Menschenbäumchen!

Mir wird so süß von mir,
Ich bin so süß nach dir,
Liebschlau spiel' ich mich hin vor dich,
Du mein doppelter Tag
Mit deinen zwei Lodersonnen,
Du!

Siehst du denn nicht,
Wie ich so leckerschön bin nach dir,
Wie ich zuckerzucke nach dir?
Jetzt geht meine Seele noch baden,
Dann kommt sie zu dir,
Ja?

nach Peter Hille




ZWISCHEN FELDERN UND WÄLDERN

Über Wunderwiesen ein Knabe sprang,
Rick rack, ticketackte sein Herz,
Seine Augen glitzfunkten so jauchzebang,
Rick rack, ticketackte sein Herz.
O Blühefelder,
So schön, so schön,
O Raunewälder,
So schön, so schön!
O du Braune, du selber,
So schön , so schön!
Rick rack, ticketackte sein Herz.

Hin tanzte der Knabe im Sauseschritt,
Rick rack, ticketackte sein Herz,
Nahm Rankebuntwinden und Nicknelken mit,
Rick rack, ticketackte sein Herz.
Durch Blühefelder
Zu dir zieht's mich hin,
Durch Raunewälder
Zu dir zieht's mich hin,
O du Braune, du selber,
Zu dir zieht's mich hin!
Rick rack, ticketackte sein Herz.

Zwischen Feldern und Wäldern die Rieke stand -
Rick rack, ticketack, schau schau!
Hielt über die Augen die Guckeguckhand,
Rick rack - so 'ne kleine süße Frau!
Durch Blühefelder,
Da kommt er jetzt her,
Durch Raunewälder,
Da kommt er jetzt her -
Und da kommt er schon selber,
Und da kommt er schon her,
Rick rack, ticketack, schau schau!

nach Otto Julius Bierbaum




SOMMERMÄDCHENKÜSSETAUSCHE-
LÄCHELBEICHTE

An der Murmelrieselplauderplätscherquelle
Saß ich sehnsuchtstränentröpfeltrauerbang:
Trat herzu ein Augenblinzeljunggeselle
In verweg'nem Hüfteschwingeschlendergang,
Zog mit Schäkerehrfurchtsbittegrußverbeugung
Seinen Federbaumelriesenkrämpenhut -
Gleich verspürt' ich Liebeszauberkeimeneigung,
War ihm zitterjubelschauderherzensgut!

Nahm er Platz mit Spitzbubglücketückekichern,
Schlang um mich den Eisenklammermuskelarm:
Vor dem Griff, dem grausegruselsiegesichern,
Wurde mir so zappelseligsiedewarm!
Und er rief: "Mein Zuckerschnuckelputzelkindchen,
Welch ein Schmiegeschwatzeschwelgehochgenuß!"
Gab mir auf mein Schmachteschmollerosenmündchen
Einen Schnurrbartstachelkitzelkosekuß.

Da durchfuhr mich Wonneloderflackerfeuer -
Ach, das war so überwinderwundervoll..
Küßt' ich selbst das Stachelkitzelungeheuer,
Sommersonnenrauschverwirrungsrasetoll!
Schilt nicht, Hüstelkeifewackeltrampeltante,
Wenn dein Nichtchen jetzt nicht knickeknirschekniet,
Denn der Plauderplätscherquellenunbekannte
Küßte wirklich wetterbombenexquisit!!

nach O. J. Bierbaum und anderen Wortkopplern




TRINKLIED

Näher und näher die Nacht schon stapft:
Trinkt, bis der Seher sich selbst verzapft -
Stürzt das Faß!
Schaut, wie im Blute die Sonn' ersauft,
Weil sich die Gute nun wärmer tauft -
Hoch das Glas!
Singt mir vom rötlichen, tödlichen Leben -
Dagloni maro ni lazzaroni sasa,
Gleiala kling klang gloria..
So trinkt doch, Donner und Doria!
Knickeknackreben, süßtriefende Wunden,
Singt mir das Lied von droben und drunten,
Wallalalei juchuh!

Der Mond hängt seine rote Zung'
Über den Berg - gute Nacht, min Jung'!
Sonne, hist hott!
Feuert den Pott,
Krach! in die Ecke zum Gott -
Hui!

Näher und näher schon schlurft die Nacht.
Im Gurgelstrom ein Gegack', ein Gezuck' -
Noch einen Schluck!
Hört ihr, wie's kracht?
Fürchtet ihr den schwarzen Mann??
Da kommt er schon an,
Der Morian,
Hopp, hopp, im Galopp,
Und der Kopp so salopp -
Hup utui!
Singt mir vom rötlichen, tödlichen Leben!
Maroni mahagoni -
Klirrlala, g'schirrlala,
Klingelingkling klimbim gloribùsvallera..
Hussa! wir streben und kleben und schweben
Immer darüber und immer daneben -
Juch!

nach Richard Dehmel




DIE ENTSCHEIDENDE SCHLITTENPARTIE

Aus "Zwei Menschen"

Zwischen zwei Rappen jappjachtert ein Schimmel!
Getümmel, Gebimmel, Verschwimmelgewimmel.
Ein Weib und ein Lümmel
Hetzen dahin zwischen Erd' und Himmel!
Das Weib schwingt die Peitsche, der Lümmel die Zügel,
Jetzt reckt er sein Kinn über Tal und Hügel:

"Sarah! seit meiner Jugend Gewitter
Rast' ich noch nie so im Glitzergeschlitter!
Aber noch herrlicher raste ich gestern,
Als ich im Sturm deinen Namen schrie, Weib,
Meinen Orkangott hervorzulästern,
Mit ihm zu ringen Knieschneib' an Kniescheib',
Daß du nun frei,
Daß wir zwei
In einem Schrei
Zwei sind, aber auch einerlei!
Schleif' mich, Zyklongott, rund um den Erdenball,
Sei der nun mulmig oder rein -
Ob auf die Nas' ich oder verkehrt fall':
Hingeschmissen will ich sein!
Sage mir, du! jetzt muß ich es wissen -
Bist auch du so hingeschmissen?
Schreist du, Weib, vor allen Damen
Ebenso rasend auch meinen Namen?
Kennst du den Wahnsinn dieser Gottähnlichkeit??"
- Das Weib umklaftert ihn purzelbereit:

"Nenn' es nicht Wahnsinn, nenn's lieber Ahnsinn,
Nenn's nicht Profansinn, nenn's Nahedransinn!
Isidor, schau' - in den furchtbaren Wochen
Hast alle Knochen
Du mir schon zerbrochen..
Doch ob mir auch graust:
Ich will, muß, kann,
Willmuß, mußwill,
Kannwillmuß, willmußkann
Fliegen mit dir, o Mann!
Ja, Isidor, rase! Reck' deine Nase!
Laß brechen, laß biegen,
Laß dich, laß mich,
Laß michdich, dichmich fliegen!!"

Schwupp! da saust
In den Graben das Paar, das durchtobte..
Zwei Menschen empfehlen sich als Verlobte.

nach Richard Dehmel




IM KALTEN HAIN

Aus "Zwei Menschen"

Zwei Menschen gehn durch einen kalten Hain
Der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Das Weib geht schwer, wie zum Hochgericht -
Die Stimme eines Weibes spricht:

"Ich trag' ein Kind, doch 's ist nit dein...
Ich sag's erst jetzt im kalten Hain!
Bin auch mit Anderen gegangen -
Ich hatte eben schon Verlangen
Nach einem Inhalt, ehe du
Mir gabst die ganze Seelenruh'!"

Die Stimme eines Mannes spricht
(Nun geht auch er, als hätt' er die Gicht):

"Sei du getrost! Das macht doch nichts,
Wenn du nur selbst ein Kind des Lichts!
Es ist um dich ein großes Glänzen,
Und das verwischt mir alle Grenzen!
Kam auch dies Kind vom Andern dir:
Gebären kannst du's doch noch mir!
Daß, wenn ein Weib nach meinem Sinn,
Ich leider nie der erste bin,
Das war ich ja von je gewohnt!"

Zwei Menschen schauen in den Mond.

nach Richard Dehmel




DER MUSTERSAAL

Kluges Klappetappen tippt, klippt und wippt
Durch wüst getonnte Kahlgewölbe.
Träufeln leise, trotzerlöst
Gekröpfte Kugelköpfchen?
Busig blähn sich verblasene Beutelbälle,
Schleuderquellen umquirlen
Das spitzige Zipfelzapfengezause -
Tausendfinger betupfen
Die zuckenden Zackenhallen!
Schlanke Birnekegel, knappe Apfelknorpel
Triefen traumselig
In die Tröpfeltröge.
Zu zähem Sudseim
Zersehnt sich der Stockestein!
Knauf knoten recken zu Ränderbäuchen
Die lingernden Leckezungen!
Strahlzerrissen sprühen
Spellende Spritzespitzen
In klaffendes Kuppeltraubengeträne.
Zopfzierzinnen
Rieseln, rinnen und spinnen.
Formflausen flattern hinter dem Fallball -
Spielwillig schlingeverschlungen
Schlampt und rollt der Robteig
In schwillendem Raserausch,
Hochwärts säulenfrierend
Zum riesigen Fransenfriesedach!
Winklig stülpestopfen
Die keulgekerbten,
Raspelgerippten,
Splitterumspießten
Schäumedolden und Mähegarben!
Die Dorredistelstrahlen,
Die krustigen Gräteborsten
Und Sprießespane
Vergürtelgittern
Mit Kerberiemen und Ätzegerten
Das hart umhakte,
Schiltzdurchfächerte
Sprühsprungspreizegerüst!
Zerfetzte Bastebündel
Lockern des Zickzackgetakels
Zerschrammte Starrstromstrünke!
Die Schönheit schafft -
Der Allgeist schwebt durch den Saal !

nach Paul Scheerbart's "Paradies"




ABWEHR

Der Weise lächelt, wenn das Gewürme sich
In frechem Wahn olympische Größe träumt:
Er sieht ja täglich, daß im Tümpel
Selbst die verächtlichsten Wässer keimen.

Er steht, das Haupt im Schimmer der Sternenwelt,
Zu Füßen ihm der Menschen Erbärmlichkeit,
Und seiner Schöpferhand entwirkt sich
Dankbar das leuchtende Bild der Schönheit!

Was soll das, Lore? lasse das Kitzeln bloß!
Kind, sei doch ernst - dies Kitzeln ist ärgerlich!
Komm' etwas später! dichten muß ich
Jetzt in der griechischen Pathosstrophe.

nach Otto Erich Hartleben




DER FUSSWÄRMER

Es kreischen die Krähen, das kalte Pack
Der Menschen vergnügt sich mit Lieben -
Ich bin wie ein alter Wärmesack
Unterm Tische liegen geblieben.

Mein Wolfspelz, der unter dem Wetzen litt,
Ist schäbig, nur Löcher, und mehr nicht -
Komm, Schicksalsfuß, gib mir den letzten Tritt
Und schnell' mich hinaus ins Kehricht.

nach Frank Wedekind (erste Periode)




MINE HAHA SUCCUBA

Zur Erziehung der jungen Mädchen

Kind, wie bist du ungeschickt!
Muß man alles dir noch zeigen?
Wenn dich nicht der Teufel spickt,
Wirst du immer Trübsal geigen!

Glaubst du, daß er dich betrügt,
Weil die Welt so schwarz ihn malte?
Jede, die sich ihm gefügt,
Rühmt, wie vornehm er bezahlte!

Hebe dein Pilasterbein,
Tritt den Grabstein der Gesetze -
Doch in Höschen hüll' es ein,
Daß die Hölle ganz dich schätze!

Schöner lockt der Rosenstrauß
In durchbrochenen Manchetten,
Und das gleiche zeichnet aus
Allerzarteste Koteletten!

Glaube, so wie ich gesinnt,
Sind die besten Erdengeister -
Und nun gute Nacht, mein Kind,
Mache Freude deinem Meister!

nach Frank Wedekind




ERINNERUNGEN

Die Mädchen unter den weißen Zypressen
Zittern: sie können noch nicht vergessen,
Scharren mit ihren Schattenschuhn,
Reihn sich zum Reigen, und möchten doch ruhn,
Netzen leisnagend die Lippen sich naß,
Küssen sich - aber die Küsse sind blaß,
Und das Lächeln ist lahm und leer,
Und so weh der Winter am müden Meer.

nach Rainer Maria Rilke




DER GEFANGENE

Nachtbild aus einem italienischen Hotel

Meine Hand hat nur noch eine
Gebärde, mit der sie verscheucht -
Über meine Beine
Kommt, was hüpft und kreucht.

Ich höre das hastige Ticken
Der Uhr - mein Herz hält Schritt.
Vor ersten Tagesblicken
Vergeht, was dunkel ich litt!

Tickt' es doch noch schneller!
Kommt da wieder ein Tier?
Wird es nicht schon heller?
Aber was wissen wir...

nach Rainer Maria Rilke




letzter besuch

ob noch ein trost entquille jetzt uns beiden
ich hofft es wohl ich kam zum lampenmahle
doch da ich heißer dürste tief im leiden
dich trinken will entziehst du mir die schale

ich berge schweigend mich im beigemache
die unentschloßnen qualen zu verschonen
denn einsam fahle liebe, törig schwache
sie kann nicht meine träume mehr bewohnen

und glimmt noch jetzt durch leere nacht der zunder
in bitternis dich an mir festzulegen
so will ich deines grams geheimes wunder
mit sanftem saft mit meinen tränen pflegen

nach stefan george




american bar

ein ruhgelaß schrägab dem rädertreiben
da müden seelen in gedämpfter stille
sich mälich wieder ebnet sinn und wille
im schimmerglast der zarten kräuselscheiben

umschmiegt von feingebräunter holzbeschalung
bleichhell getönt verwölben sich die wände
und friedlich labt den blick verstreute spende
der dämmerkunst in altersdunkler malung

der fliese mattes rot wer könnt es singen
die schneegedecke die willkommen sagen
der schlummerlehnen schmeichelndes behagen
der silbernen geräte leises klingen?

vielleicht doch lieber wink ich mit den augen
dem kellner in der milden weißen bluse
zum wohle meiner nervenschwachen muse
blaßkühlen saft durch hohles stroh zu saugen

nach stefan george




stammtisch der fortgeschrittenen

die hölzer schwedens harren auf dem tische
beflimmert von dem blendeglanz der birnen
und säfte warten schwül verführerische
zu röten feuchte längst erblaßte stirnen

die fahlen bärte formen sich bewußter
die augen tränen in verborgnen träumen
und durch das fenster zischelt der liguster
und heisern regens trübes gossenschäumen

wir schaun uns fragend in die leeren höhlen
und wissen nicht was wir uns sagen sollen
es netzt uns heilig mit gesparten ölen
ein weiheguß den wir nicht deuten wollen

nach stefan george




UND SEHR..

Ballade des äußeren Lebens

Und Kinder wachsen mit sehr weißen Zähnen,
Die dann so gelb doch werden wie die Primeln,
Und alle gehen wir uns müd, und gähnen.

Und grüne Pflaumen hangen in den Himmeln,
Die blau wie tote Schwalben niederschlagen
Und sehr bekümmert liegen, und verschimmeln.

Und immer weht der Wind in unsern Tagen,
Und immer reden wir sehr viele Worte,
Und selten solche, die uns selbst behagen.

Und Wege laufen sehr umher, und Orte
Sind da und dort, und auch bemerkenswerte,
Von dieser sehr und auch von jener Sorte:

Und Formen sind auch manchmal, sehr verehrte,
Und wo sie sich zu einer Wölbung fügen,
Da scheint sehr nah, was ferne sich verwehrte..

Allein wozu? Sehr flüchtig ist ihr Trügen
Und sehr belanglos dies gesehen haben,
Da wir uns selbst nur sehr und meistens rügen.

Was frommt dies Spiel uns früh gebleichten Knaben,
Die einsam wir und so verschieden sind
Und gern uns mit uns selber nur begaben?

Wie könnten wir an allem dem genesen?
Und dennoch sagt sehr viel, der "Pleite" sagt,
Ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt

Wie stille Tropfen aus den hohlen Käsen.

nach Hugo von Hofmannsthal




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