Erlanger Liste



Eckhard Henscheid

Aus »Die Mätresse des Bischofs«


Die Hängematte, in der mein Rancher lag, ward schwer vor Schläfrigkeit und Lust zum Expedieren.

Noch etwas ereignete sich damals, mein Glück abzudichten. Es traf sich, daß noch ein Mann in mein Leben trat, seine Rundheit zu vertiefen, nein, wortwörtlich abzurunden, ein geistlicher Herr, den ich hier meinen Lesern, entgeht ihnen schon die Mätresse, nicht vorenthalten möchte. Er fiel mir wohl erstmals im Mai auf, dann wieder einen Monat später, offenbar betreute er alle Monate eine Sendung - kurz, im Fernsehen, das ich sonst, abgesehen von der Kriminalserie »Task Force Police«, eigentlich nur geringfügig wahrnehme und wahrnahm, hantierte damals ein überaus eigenwilliger Mann herum, ein gewisser Adolf Sommerauer - und es mag sein, daß mich zuerst auch sein doppelt und klösterlich sommerlicher Name wohltuend in Bann schlug: deutlicher ins Bewußtsein trat mir der Alte, dessen bin ich sicher, im Anschluß an eine Fußball-Europapokal-Übertragung, als er nämlich nach den Stimmen der Trainer sofort loslegte - obwohl mich solche redseligen Knüppel eigentlich immer sehr gefangennehmen und ich ja damals auch schon auf einer einsamen Höhe meiner neuen Katholizität stand, hörte ich zuerst nicht genau auf den feuchten Unsinn. Erst als mehrmals hintereinander die Worte »Sex« und »Sexy-Rummel« und sogar »Busen« aus dem Kasten quakten, sah ich genauer hin und nahm zuerst einmal wahr, daß der Fernsehgeistliche tatsächlich einen Kopf wie ein Fußball aufhatte, ein verschrumpelter Fußball, dem halb die Luft ausgegangen war, ähnlich der Stadtform Dünklingens -

- und dann wurde immer klarer, daß der zähe Alte die Sexualität aus neuerer christlicher Sicht behandelte, eine Viertel-, eine Halbestunde lang, die Sexualität, die ihn offenbar sehr juckte und plagte, denn er wackelte immer heftiger mit dem argen Schrumpelkopf, und dann endlich erzählte der als »Pfarrer Sommerauer« Angekündigte, er habe da einen Brief von einer schwer verzweifelten Frau gekriegt - und jetzt rollte er langsam den Brief vor den Augen der Kamera auf, setzte stöhnend die Brille auf und suchte mit den alten Augen eine Weile die verräterische Textstelle:

»Und da schreibt mir die Frau, der Name tut nichts zur Sache, schreibt mir also die Frau, sehr geehrter Pfarrer Sommerauer, schreibt sie, ich bin verzweifelt, schreibt sie.« Sommerauer blickte verzweifelt in die Kamera, seufzte wie erschöpft und führ fort: »Ich bin verzweifelt. Ich habe nämlich nur Busengröße 4!« Sommerauer sah mich erneut an, seufzte noch steiler und schien um Jahre gealtert. »Mein Mann aber, schreibt die Frau da weiter«, fast verächtlich schnippte er ein wenig an dem Blatt, »will«, er sah wieder in den Kasten, aber jetzt hatte er es wie verzagend wieder vergessen und sah erneut ins Blatt, »mein Mann will« - es dauerte etwa sechs Sekunden, bis er es wieder gefunden hatte - »Busengröße 7!« Jetzt aber legte Sommerauer den Kopf ganz erbärmlich schief, sah erneut in die Kamera und streckte vor Ermattung sogar ein wenig die Zunge vor:

»Busengröße 7!« wiederholte Sommerauer fast hallend, setzte die Brille ab und siehe, ohne Brille war der Kopf ein einziger schwerer Tränenrucksack, da setzte er die Brille wieder auf: »Und dann schreibt mir die Frau - ich kann und mag nicht sagen«, jammerte Sommerauer, und der lichte Haarschopf bebte stöhnend mit, »aus welcher Stadt sie schreibt, es könnte ja auch - jede Stadt sein, und dann schreibt also die Frau: Lieber Pfarrer Sommerauer, soll ich -soll ich meinen Busen meinem Mann zuliebe spritzen?«

Kathi hatte die Augen geschlossen. Schlief sie wirklich? In der Küche braute Monika Milchtee. Jetzt unerwartet gelang dem Fernsehpfarrer eine neue Steigerung von Bekümmertheit. »Was soll ich«, Brille ab, »dazu sagen, liebe Hörerinnen und Hörer«, er seufzte, »und Zuschauerinnen und Zuschauer? Was soll ich als Pfarrer dazu sagen? Ich bin ein alter Mann«, weinte Sommerauer hart und spielte zäh mit seiner Brille auf dem Schreibzeug, dann ließ er den Kopf gewissermaßen nach schräg unten in die Kamera plumpsen: »Wenn die eheliche Liebe, die heute sogenannte« - und jetzt sah er ganz unsinnig und zudem brillenlos suchend noch einmal in den angeblichen Brief - »die heute sogenannte Sexualität nur immer aus - Busen, Busengrößen und Busenspritzen besteht - und«, merkwürdiges Decrescendo, »existiert«, und jetzt war es, als ob, wiederum Crescendo, das Spirituelle sich vollends mit dem tränenreich Gemütsvergammelten vermählte, »dann kann ich als Pfarrer nur sagen und fragen: Was ist das für eine Liebe oder sogenannte Sexualität?«

Kathi schien wirklich zu schlummern, als Sommerauer seine Skepsis begründete; wäre sie erwacht, ich hätte sofort nach meinem Schopenhauer gegriffen.

»Busengröße 4 oder 5 oder 7«, tobte der Kugelrunde maßlos weiter, »oder 6 oder 8 oder 10«, jetzt verlor er sich, obwohl scheinbar abwehrend, sogar im Sinnenrausch, »was soll ich als Pfarrer dazu sagen und der Frau helfen? Busen und immer Busen!« Die Backen vibrierten in frommer Leidenschaft, er seufzte ganz ätherisch und setzte die Brille wieder auf und nahm sie wieder ab: »Ich fürchte, liebe Frau«, und schrecklich rieb der Daumen übers freie Auge, das andere war geschlossen, »ich fürchte, bei Ihnen überwuchert - überwuhuchert die Sorge um den Buhusen eine Möglichkeit der«, er wehseufzte und greinte jetzt schon ganz unverschämt- »Liebe!« »Liebe!« rief Sommerauer noch einmal laut, bei dem Wort aber verriet sich der alte Wurstel klar, denn eindeutig glitschig formierten seine dicken Hände einen - Buhusen! So daß Sommerauers folgende Ausführungen über den Unterschied von Liebe und Sexualität, in denen auch nochmals der »Sexy-Rummel« zur Diskussion gestellt wurde, etwas an Glaubwürdigkeit verloren. »Der Sexy-Rummel!« rief der Greis mehrfach und war offenbar völlig verhext durch die Laszivität des bloßen Worts - und auch vom »Busen« mochte er sich noch längst nicht trennen - aber dann, endlich nach 30 Minuten, am Ende der Sendung, sagte Sommerauer ebenso resignierend wie resümierend urplötzlich etwas sehr Schönes und Wahres: »Ihren Kummer, Ihren Kummer, liebe und verehrte Zuschauer und Zuschauerinnen, können Sie jedenfalls durch das Spritzen des Busens nicht heilen!«

Er ließ noch für einige Sekunden und fast glaubwürdig sein ganzes Leid im Kugelkopfe auf- und niedersausen, dann war die Sendung aus.

Ob die Iberer auch gelauscht hatten? Ich sah vorsichtig auf die schlummernde Kathi. Kathi Eralp-Landsherr. Gott, was für eine abgeschmackte Kombination! Die Brust ging friedlich auf und nieder. Mindestens Größe 6! Keine Probleme. Ich wechselte in die Küche, trank mit Stefania Tee, wir spielten noch ein wenig Watten und ich gewann 50 Pfennige.

Ein Monat später traf es sich erneut. Ich lauerte Sommerauer schon seit Tagen auf- und wurde nicht enttäuscht. Der Fußball hub an mit recht allgemeinen Gedanken über Alt und Jung und über den »Nebel unserer Geschäftigkeiten« - aber sehr bald und unverkennbar gierig sogar kam er dann auf seine letzte Sendung zurück, seufzte wie verraten und verdammt und erzählte, er habe ungeheuer viele zustimmende, aber auch ablehnende Briefe gekriegt, vor allem wegen seiner Ausführungen über - Sommerauer sah wie erledigt, achselzuckend in den Kasten, »die Busengrößen«, die nach Meinung vieler Fernsehteilnehmer einen Fernsehpfarrer nichts angingen. »Aber, meine Hörerinnen und Zuhörer«, verteidigte das Dickerl sichtlich stolz seinen Mut und seine vor keiner Aktualität zurückschreckende Kampfbereitschaft und schnaufte verwahrlost auf und durch, »das angebliche nichtige und nebensächliche Thema der«, er sah kurz und wie leidend auf seinen Schreibblock, »Busen«, er nahm die Brille herunter, »hat auch einen Geistlichen wie mich zu interessieren. Ich kann nicht«, er beschleunigte das Tempo und forcierte die Dynamik, als ob die Pfarrersjacke ihm zu eng würde, »über modernes Christentum reden, wenn ich die - Sexualität ausklammere, wie sie in unseren modernen Heimen und - Wohnungen besteht und«, wahrscheinlich meinte er die Probleme der Sexualität, »viel Leid - Leid! - hervorrufen!« Und wiederum begann er schnaubend und ächzend über »Busen« und »Sexy« zu winseln, die beiden Worte raubten ihm einfach die Reste von Verstand, die tiefste Eitelkeit angesichts seiner selbstlos-rücksichtslosen Kühnheit gleißte, ja gliß abermals um das gelbe Nasengebüsch, - und erst zehn Minuten später bequemte er sich, zu einem anderen Thema zu wechseln, zu der wünschenswerten und sonderbarer Weise »ausgerechnet von mir« von einem Zuschauer verlangten Freilassung des Stellvertretenden Führers Heß.

»Aber was soll ich«, jaulte Sommerauer schräg auf, »als Pfarrer tun? Ich wünsche mir selbstverständlich - auch! - die Freilassung von« — er sah auf sein Blatt, sah verstört wieder hoch und abermals auf sein Blatt - »Heß. Heß! Aber man überschätzt doch einfach meine Kraft, meine Möglichkeiten, wenn man das von mir verlangt! Ich bin kein Politiker und Fachmann!« wehrte sich Sommerauer, und jetzt wackelten seine Backen wieder wie in übergroßer Demut: »Heß! Ich kann nur zu meinem Herrgott sagen, Herrgott, kann ich sagen, ich bitte dich um die Freilassung dieses Gefangenen! Realer - realer! - sind meine Möglichkeiten schon in - scheinbaren! -nichtigen Sachen wie«, er stutzte scheint's über seine eigene Verworfenheit, »Busen- und Busengrößen, so lächerlich es diesem oder jenem vorkommen mag. Aber der Kummer - und wenn es um den kleinen Buhusen ist«, heulte Sommerauer jetzt schon ganz verzweifelt, »die Sexualität ist heute...«

Und abermals incipit lamentatio Jeremiae. Wunderbar! Dieser Sommerauer war eine einzige sanfte, ja erhabene, aber dafür umso endgültigere Naturkatastrophe. Dieser Fußball, dieser Schnarchsack, dieser Knittel, diese qualvolle Orgelpfeife ackerte und lechzte und blökte nicht nur den hinterletzten Humbug vor sich hin, er log ganz einfach wild entfesselt, wohltätig und erschreckend darauf los -ganz wie Alwin, aber noch eine Idee schamloser, darauf bauend, der Rest der Welt sei noch vernebelter - und merke es nicht. Der Gedanke an Busen machte den Alten obendrein alle Barrieren einreißen. Wollte er seinen Bischof brüskieren? Wollte er ihm einen Fingerzeig geben? Es war schlechthin göttlich! Nein, er log und gaunerte wie Alwin, aber doch ganz neu und reiner noch - und plötzlich wußte ich's: dieser Tränenkrug war die Synthese von Alwin und den Iberern! Es war Alwins Vater und der Oheim Finks und Kodaks. Ich aber war sein Opfer, war sein Adressat!



Henscheid parodiert hier die Fernsehserie »Pfarrer Sommerauer antwortet«, eine bis 1978 vom Deutschen Fernsehen ausgestrahlte Sendung zur 'Lebenshilfe'.
Quelle: Eckhard Henscheid, Die Mätresse des Bischofs (Auszug), aus: Romantrilogie - Sonderausgabe, Copyright 1995 by Haffmanns Verlag AG Zürich.

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Haffmann Verlags. Jede Vervielfältigung dieses Textes ohne Einwilligung des Verlags ist untersagt!


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