Ein paar Bemerkungen
zu
Parodie und Travestie
Als Kurt Tucholsky 1914 die Parodie-Anthologie eines damals sehr bekannten
Literarhistorikers zu rezensieren hatte, begann er seine Arbeit gleich mit
einem Stoßseufzer: "Richard M Punkt Meyer hat (im Verlag Müller
& Rentsch) eine Büchelchen herausgegeben: 'Deutsche Parodien'. O
wären es doch welche!" Spätere Leser späterer Anthologien
können durchaus ähnliche Erfahrungen machen, zumal wenn sie sich dann
auch noch hilfesuchend an die dafür ja eigentlich zuständige
germanistische Zunft wenden.
Offensichtlich ist es gar nicht so einfach, die Parodie von ähnlichen
Schreibweisen zu unterscheiden, mag sie auch im Universum der Texte nach
landläufiger Meinung nur einen niederen Rang einnehmen. Zumindest ein
Grund für die Schwierigkeiten, die wir noch immer mit ihr haben,
dürfte in einer heute zwar abgeschwächten, aber immer noch wirksamen
Tradition liegen, die sich auf eine doppelte Bedeutung des Ausdruckes "Parodie"
- im Sinne von "Nebengesang" und "Gegengesang" - berufen kann. Und so ist dann
mit "Parodie" die ernsthafte Nachahmung ebenso bezeichnet worden wie die mit
Komik arbeitende Herabsetzung einer Vorlage. Mehr noch: Ausdrücke wie
"Parodie", "Travestie" und "Kontrafaktur" erscheinen häufig als
wechselseitig austauschbar.
Da nun aber viele Leser gern wissen möchten, worüber sie lachen, wenn
sie lachen, wollen wir hier kurz darlegen, nach welchen Kriterien wir die Texte
in unserer kleinen virtuellen Anthologie ausgewählt haben - wobei wir von
dem besonderen Problem des Urheberrechtes hier einmal absehen.
Beginnen wir also mit dem, was Parodie und Travestie ganz gewiß nicht sind. Sie sind selbst keine
Gattungen - auch wenn das immer wieder behauptet wird -; sie kommen vielmehr in
den verschiedensten literarischen und nicht-literarischen Gattungen vor: in
Gedichten, Dramen, Essays, Reden und Romanen, wissenschaftlichen Abhandlungen,
Werbetexten u.s.w. Zudem ist ihr Vorkommen nicht einmal auf das sprachliche
Medium beschränkt, wie ein Blick auf den Film, die bildende Kunst, die
Reklame
und die Musik schnell zeigen kann.
Weiterhin sind Parodien und Travestien gewiß keine Agenten des
'Weltgeistes' oder verwandter Institutionen, die stets progressiv
'reaktionäre' Autoren und Texte der Lächerlichkeit preisgeben. Gegen
solche - schlechten - Mythen aus dem Geist von 1968 sollte man an der
Trivialität festhalten, daß beide Verfahren, Parodie und Travestie,
gegenüber diesen Bestimmungen völlig neutral sind; weder stets
innovativ noch stets progressiv, werden sie von Autoren verwendet mit all ihren
widerstreitenden Interessen, Motiven und Abneigungen.
Was aber sind nun Parodien und Travestien? Zunächst einmal sind es
spezifische, häufig auf sehr einfachen
Änderungsoperationen
beruhende komische Verarbeitungen einer Vorlage, wobei als Vorlage ein
einzelner Text oder eine ganze Gruppe von Texten verwendet werden können.
Und in dieser Herabsetzung der Vorlage erschöpfen sie sich auch schon. Wir
finden also weder bei der Parodie noch bei der Travestie so etwas wie eine
eigene Botschaft.
Dennoch wird ein aufmerksamer Leser auch Unterschiede zwischsen den beiden
Verfahren erkennen. In der
"entsetzlichen Mordgeschichte von dem jungen Werther"
bezieht sich Heinrich Gottfried Bretschneider zwar thematisch auf Goethes
Erfolgsroman, dessen Geschichte er noch einmal mit überraschend vielen
übernommenen Details erzählt. Doch tritt hier an die Stelle der
intimste Empfindungen publizierenden Briefform die holzschnittartige
Perspektive des Bänkelsangs, die nun auch Werthers Leiden zur ironisch
vorgetragenen (Selbst-) Mordgeschichte degradiert. Bei der Travestie - und um
eine solche handelt es sich in diesem Fall - wird also nur das Thema der
Vorlage übernommen und in komischer Weise herabgesetzt, während die
jeweilige Form unabhängig von ihr gewählt wird.
Demgegenüber komisiert beispielsweise
Ludwig Eichrodt
nicht nur die für Annette von Droste-Hülshoff so typische Thematik,
sondern auch die Art und Weise, wie diese Thematik ihren sprachlichen Ausdruck
findet. Freilich lassen sich dabei unterschiedliche Gewichtungen feststellen.
Einerseits herrscht die Übertreibung gewisser Züge der Vorlage vor.
Ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist Ludwig Thomas
"Ludig I. Eine Märzerinnerung",
bei dem der "üble Partizipialstil" des Dichterkönigs gehäuft
auftritt oder, wie wir sagen wollen, von dem Parodisten übererfüllt
wird. In der Literatur spricht man daher oft auch von der Stilparodie.
Andererseits finden wir in August Wilhelm Schlegels
Schiller-Parodie
eine Vielzahl thematischer Ersetzungen, die den Anspruch des Originals durch
ihre Drastik unterlaufen oder, wie man auch sagen kann, untererfüllen.
Daß beide Möglichkeiten in der Praxis zumeist gemischt auftreten und
lediglich die eine oder die andere dominiert, brauchen wir wohl nicht
ausdrücklich zu betonen. Auch in Ludwig Thomas Parodie gibt es ja die
thematische Untererfüllung, da mit dem königlichen Partizipalstil
zugleich die Liaison dangereuse zwischen dem Monarchen und Lola Montez, der
"spanischen Fliege", dargestellt wird.
Im übrigen wünschen wir viel Vergnügen mit unserer virtuellen
Anthologie, die durchaus auch als Beitrag gegen den Tiefsinn im Netz gedacht
ist.
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