Erlanger Liste



    Peter Rühmkorf

    Naturlyrik

    Kalmusduft kommt wild und würzig
    Kraut und Rüben gleich Gedicht,
    Wenn die Gruppe Siebenundvierzig
    Spargel sticht und Kränze flicht.

    Abendland hat eingeladen
    Suppengrün und Fieberklee -
    Auf die Quendelbarrikaden,
    Engagée, engagée!

    Wenn die Abendglocken läuten,
    Wenn die grüne Heide blüht, -
    Lattich den Geworfenheiten,
    Pfefferminze fürs Gemüt.

    Weyrauch duftet süß und Bender,
    und es dämmern Laich und Eich.
    Sachte rutscht der Abendländer
    In den sanften Ententeich.


    Parodie auf die Naturlyrik der Gruppe 47. Sie erscheint erheblich verändert und erweitert 1959 unter dem Titel "Lied der Naturlyriker" in "Irdisches Vergnügen in g".
    © Peter Rühmkorf. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Jede kommerzielle Verwendung dieses Textes ist untersagt!


    Lied der Benn-Epigonen

    Die schönsten Verse der Menschen
    - nun finden Sie schon einen Reim! -
    sind die Gottfried Bennschen:
    Hirn, lernäischer Leim -
    Selbst in der Sowjetzone
    Rosen, Rinde und Stamm.
    Gleite, Epigone,
    ins süße Benn-Engramm.

    Wenn es einst der Sänger
    mit dem Cro-Magnon trieb,
    heute ist er Verdränger
    mittels Lustprinzip.
    Wieder in Schattenreichen
    den Moiren unter den Rock;
    nicht mehr mit Rattenscheichen
    zum völkischen Doppelbock.

    Tränen und Flieder-Möven -
    Die Muschel zu, das Tor!
    Schwer aus dem Achtersteven
    spielt sich die Tiefe vor.
    Philosophia per anum,
    in die Reseden zum Schluß -:
    So gefällt dein Arcanum
    Restauratoribus.


    Parodistische Kritik der Wirkungsgeschichte Benns. Ihre früheste Version schließt den Artikel "Benn Epigonen II" der Seite "Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof" in der Januar-Ausgabe von "konkret" 1958 ab.
    © Peter Rühmkorf. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Jede kommerzielle Verwendung dieses Textes ist untersagt!


    Auf eine Weise
    des Joseph Freiherrn von Eichendorff

    In meinem Knochenkopfe
    da geht ein Kollergang,
    der mahlet meine Gedanken
    ganz außer Zusammenhang.

    Mein Kopf ist voller Romantik,
    meine Liebste nicht treu -
    Ich treib in den Himmelsatlantik
    und lasse Stirnenspreu.

    Ach, wär ich der stolze Effendi,
    der Gei- und Tiger hetzt,
    wenn der Mond, in statu nascendi,
    seine Klinge am Himmel wetzt! -

    Ein Jahoo, möcht ich lallen
    lieber als intro-vertiert
    mit meinen Sütterlin-Krallen
    im Kopf herumgerührt.

    Ich möcht am liebsten sterben
    im Schimmelmonat August -
    Was klirren so muntere Scherben
    in meiner Bessemer-Brust?!



    Von Rühmkorf im Oktober 1960 auf der Tagung der Gruppe 47 in Aschaffenburg vorgetragene Parodie auf Eichendorffs Gedicht "In einem kühlen Grunde".
    Text-Vorlage
    auf unserem Server.
    © Peter Rühmkorf. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Jede kommerzielle Verwendung dieses Textes ist untersagt!


    Variation auf "Abendlied"
    von Matthias Claudius

    Der Mond ist aufgegangen.
    Ich, zwischen Hoff- und Hangen,
    rühr an den Himmel nicht.
    Was Jagen oder Yoga?
    Ich zieh die Tintentoga
    des Abends vor mein Angesicht.

    Die Sterne rücken dichter,
    nachtschaffenes Gelichter,
    wie's in die Wette äfft -
    So will ich sing- und gleißen
    und Narr vor allen heißen,
    eh mir der Herr die Zunge refft.

    Laßt mir den Mond dort stehen.
    Was lüstet es Antäen
    und regt das Flügelklein?
    Ich habe gute Weile,
    der Platz auf meinem Seile
    wird immer uneinnehmbar sein.

    Da wär ich und da stünd ich,
    barnäsig, flammenmündig
    auf Säkels Widerrist.
    Bis daß ich niederstürze
    in Gäas grüne Schürze
    wie mir der Arsch gewachsen ist.

    Herr, laß mich dein Reich scheuen!
    Wer salzt mir dort den Maien?
    Wer sämt die Freuden an?
    Wer rückt mein Luderbette
    an vorgewärmte Stätte,
    da ich in Frieden scheitern kann?

    Oh Himmel, unberufen,
    wenn Mond auf goldenem Hufe
    über die Erde springt -
    Was Hunde hochgetrieben?
    So legt euch denn, ihr Lieben
    und schürt, was euch ein Feuer dünkt.

    Wollt endlich, sonder Sträuben,
    still linkskant liegen bleiben,
    wo euch kein Scherz mehr trifft.
    Müde des oft Gesehnen,
    gönnt euch ein reines Gähnen
    und nehmt getrost vom Abendgift.


    Parodie von 1961 auf das "Abendlied" des Wandsbecker Boten mit der wörtlichen Übernahme des Gedichtanfangs der Vorlage.
    Text-Vorlage
    auf unserem Server.
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    Variationen auf ein Thema von
    Friedrich Gottlieb Klopstock

    Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht,
    mit entspanntem Munde gepriesen; schöner ein künstlich Gebiß,
    das den großen Gedanken
    einer Schöpfung noch einmal käut.

    Dort, wo der schimmernde Fluß sein Kleingeld verspielt,
    oder hobest du dich schon wieder ab in den Äther -?
    komm, da der Abend den seidenen Stander setzt, bleu-weiß-rot,
    die Fahne aus Hauch und Traum...

    komm, oh komm auf der farblosen Schwinge des Winds
    - so wie er den zartgesalzenen Flügel rührt -
    dreigestrichnes BEWUSSTSEIN:
    dem am Reißbrett entworfenen Phönix gleich.

    Schon lag hinter uns weit der Süllberg,
    Sagebiels Gasthof, gepflegte Biere, Bäume klettern den Hang hoch,
    Flieder-Kastanien-und-Rotdorn, schooon
    sog uns die Schwerkraft am Hintern.

    Schulau: der Abend mit silbernem Kamm im Haar,
    wenig Erkenntnis und kaum noch Veränderung,
    nur das verdorbene Herz,
    das seine Synkopen hackt;

    nur dies Herz, und ein instabiles,
    grobes Gefühl in der Brust, der hochgemöbelte Ursprung;
    und wir sangen hinter dem Segel
    und empfanden wie Schmidt.*

    Jetzo den Himmel! Beachtlich! Links hinterm Schweinesand:
    halb entblößt über der flachgebackenen Insel -
    da, da hängtest du SCHWERKRAFT
    volles Maßes dich bei uns ein.

    Süße Hinfälligkeit, du, dich empfanden wir;
    natürliche Tochter des - nun-nun - Geworfenseins,
    das uns die Rute durchsüßt,
    uns an den Boden pflöckt.

    Vom Sommer überrollt und schon aufs Kreuz gelegt,
    Eli - Eli! bei geerdeter Seligkeit
    sind wir beschlossen in das,
    was uns unter der Jacke schwelt.

    Es gibt uns noch, Kameraden, unwiderlegbar,
    - und bewiese uns nur das Fleisch, das sich warm in der Hose bewegt -
    lauter stammelt das Sterbliche:
    Coeo ergo sum!

    Die Welt auszusaugen, die wir nicht verstehn,
    sind wir gekommen, im Bunde mit allem, was stirbt und stinkt -
    Tomeihoda! zur Hälfte Subtilität,
    fuffzig Prozent Remmidemmi!

    Also schlürfen und reflektieren und dies: unter durchaus zweideutigem Himmel:
    Mein Ich-und-Alles, der in Wodka gelöste Widerspruch....
    Ab durch die Mitte nun!
    Ab in den Acheron!

    Du mit der Plombe im Zahn und dem schlechten Geschmack im Mund,
    faselnd von Unsterblichkeit und nachgespendetem Ruhm,
    wen bringt die ausgelutschte Fanfare
    noch auf die Socken?

    Wen? da nur Schatten schwärzet den Rückspiegel unsrer Erinnerung:
    Der alles verändern wollte, liegt unter den Rüben;
    und wo ist die schöne Zeit als
    Eff Nietzsche noch in der Sandkiste spielte?!

    Ausgekaut hat der Unterkiefer von Mauer;
    wie im Aug des Edlen der Himmel für immer gelierte -
    Mächtiger und gefräßiger noch als der Mensch
    ist die wortlos mampfende Erde.

    Einen Schoß zu beschicken, was lohnt's?
    und was: ein knollend Geschlecht fortfahren zu machen,
    daß es weiter den Erdball trete
    in Entzücken und Skepsis -?

    Nichts, garnichts rechtfertiget den gewaltigen Leerlauf der Zeugung,
    nur, weil es dich einmal gibt und du dich noch auf den Beinen hältst,
    misch dich unters Bestehende,
    im magnetischen Feld auf Beglückungen aus.

    Jaaa, ganz in Weite gelöst und mit nichts als Südwind angetan,
    gleiten wir durch sich langsam zersetzenden Tag
    sacht ins
    fliederverhangene Maul der Bucht....

    treiben wir, wissend, daß Messer für alle gewachsen sind,
    eine Kinderzitze im Mund, nicht unwürdig unser Verderblichkeit:
    Glücklich noch einmal eh
    der Himmel uns abtut an Kindes Statt.

    * Schmidt, Arno; Bargfeld, Kreis Celle.



    Parodie von 1959 auf Klopstocks Ode "Der Zürchersee" (1750).
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    Aus "Lombard gibt den Letzten"

    II. Akt, Achtes Bild. - III . Akt, Erstes Bild

    ALFREDO: Freude schöner Götterfunken
    Tochter aus Elysium
    Wir betreten branntweintrunken
    Taumelnd ein Panoptikum
    Mann und Miez und Geiß und Gockel
    Drehn sich bis der Himmel kreist
    Und der dicke Festlandsockel
    Mit dem Fuß nach oben weist.
    CHOR: Wolken wandern uns zu Füßen
    In den Fingern braust die See
    Jubelnd als Vermählte grüßen
    Alfred und Eurydike.
    ALFREDO: Maßlos mystisch prall proteisch
    All Säfte ausgetauscht
    Bis die Seele überseeisch
    An die andern Ufer rauscht -
    Zur Vermählung aufgerufen
    Deckt sich was sich nie gemischt
    Sämtliche Vermarktungsstufen
    Für einander aufgetischt.
    CHOR: Haare Schuppen Fell und Federn
    Sprühen Funken wie noch nie
    Und aus den verstauchten Rädern
    Bricht des Gottes Energie.
    ALFREDO: Rast ihr Leiern schwellt ihr Töne
    Blökt ihr Tuben, wer kommt mit?
    Euterschleifend naht Ismene,
    Leda mit dem Schwanentritt -
    Laßt das Volk los gebt das Vieh frei
    Liberté - Egalité!
    Götterleicht ideologiefrei
    Alfred und Eurydike -
    CHOR: Feuerfarben lichterloh
    Bis die Sittenschranken schmelzen
    Und vereinte Zwitter wälzen
    Sich im Strom von Indigo.
    CHOR: Brauner Pan und weiße Hirtin
    Was besteht und was verwest
    Alles was euch trennte wird in
    Wohlgefallen aufgelöst
    Über-überall wächst Trazien
    Unter dem beschwingten Schuh
    Und die läufigen, die Grazien
    Fächeln euch mit Brüsten zu.
    GROSSCHOR: Klassenschranken, schwer zu leugnen,
    Werden weich und ungenau -
    Brüder, überm Überbau
    Wird ein großer Gott enteignen.
    ALFREDO ( mit mächtigem Tremolo):
    Wem der große Wurf gelungen
    Wer die Schwerkraft überwand
    Wer die Felsen ausgewrungen
    Nehm sie fester in die Hand -
    ALFREDO: Freude schöner Götterfunken
    Himmlisches Brimborium
    Alles Festland abgesunken
    Alle Hügel kippen um
    Alle Herzen leergemolken
    Alle Busen ausgequetscht
    Jupiter in Wetterwolken
    Groß die goldenen Zähne fletscht.
    Seid verschlungen Schwestern Brüder
    Diesen Schlag dem ganzen Pack!
    Leute, aus dem Wettersack
    Fährt der wahre Jakob nieder.



    Parodistische Verarbeitung (1972) der Ode "An die Freude" Friedrich Schillers von 1786.
    © Peter Rühmkorf. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Jede kommerzielle Verwendung dieses Textes ist untersagt!

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