Anonym I
SUHRKAMP UND ALDI
Liebe Freunde, liebe Buchhändler!
Ich möchte die diesjährige Frankfurter Buchmesse nutzen, um Ihnen ein
ebenso ungewöhnliches wie - so hoffe ich - zukunftsweisendes Projekt
vorzustellen: der Suhrkamp Verlag ist in eine engere Zusammenarbeit mit der
Vertriebsfirma "Aldi" getreten. Diese unerwartete Kooperation
zweier so verschiedener Unternehmungen mag Fragen aufwerfen, kritische wie
Verständnis heischende. Als langjähriger Leiter des Suhrkamp Verlages
sehe ich es als meine Pflicht an, Ihnen und der Öffentlichkeit insgesamt
unsere Erwägungen, die zu diesem im deutschen Verlagswesen bisher
einmaligen Schritt führten, darzulegen - nicht zuletzt auch aus dem
Interesse heraus, Ihnen deutlich zu machen, daß die Sorgen, die Sie
angesichts der angedeuteten Entwicklung hegen mögen, auch die meinen sind.
Immer verstand sich der Suhrkamp Verlag als Anwalt und Mittler dessen, was Max
Frisch einmal jenes bedrohte und in der Bedrohung gleichwohl lebende
Abenteuer des Lebens nannte. Seit Peter Suhrkamps Zeiten ist es
erklärtes Ziel des Verlages, in Wort, Schrift und verlegerischer Tat gegen
nivellierende und zum Teil dem Geiste in der Tat feindlich
gegenüberstehende Tendenzen der Moderne anzugehen - das Programm unseres
Verlages spricht, so hoffe ich, für sich.
Gleichwohl kann ein Verlag, der im geistigen Leben Deutschlands eine solch
nicht unbedeutende Rolle spielt wie der unsere, es sich nicht leisten, geradezu
elitär im Elfenbeinturm zu verharren. Gegenwart ist immer zugleich
Bedrohung
und
Herausforderung. Um zum eigentlichen Thema dieses Schreibens zu kommen: es ist
unzweifelhaft, daß der Umgang mit dem wertvollen Buch heute Sache einer
Minderheit ist - es ist aber ebenso unzweifelhaft, daß weite Kreise
potentieller Leser von uns bislang kaum oder gar nicht erreicht wurden. Ich
spreche hier nicht als Verleger sondern als Citoyen, dem die - wohlgemerkt:
demokratische! - Sache des Geistes stets am Herzen lag: eine Chance wäre
vertan, würden wir uns nicht um den Leser, der bisher noch nicht zu uns,
der bisher noch nicht zum guten Buch gefunden hat, bemühen.
Wenn der Leser nicht zum Buch kommt, muß das Buch zum Leser kommen -
dies, und nichts anderes, ist die Basisidee unseres neuen Projektes. Kritischer
Geist, allemal dem nicht entstellten Lebendigen verpflichtet, kennt den
Dünkel so wenig wie die immer schon dem Verfremdungszusammenhang
verfallene Verliebtheit in den elaborierten Code - kritischem Geist eignet
vielmehr pädagogischer und durchaus auch jener Impetus, der - mit Brecht
zu sprechen - auf all die vielen bezogen ist: schulmeisterlich
sicher nicht, wohl aber demokratisch im weitesten Sinne (Genscher).
So möchte ich Ihnen heute die ersten 25 Titel unserer neuen, in
Kooperation mi "Aldi" entstandenen
edition sual
vorstellen. Sie werden - vorerst - ausschließlich in den Niederlassungen
der Aldi-Kette zu beziehen sein, nicht anders verpackt und dargeboten als alle
anderen Produkte dort auch. Letzteres möchte ich vor allem gegenüber
jenen etwaigen Kritikern hervorheben, die befürchten, dies Unternehmen
prolongiere nur affirmativ die herrschende Arroganz in die Sphäre
unmittelbarster Distribution hinein, stelle mithin nicht mehr da, als einen
weiteren Beitrag zum Auseinanderklaffen der kognitiven Schere zwischen dem, was
Hesse so tief unten, und dem, was Adorno allemal oben
genannt hat. Das Gegenteil ist der Fall!
Ein Wort noch, gerichtet vor allem an diejenigen von Ihnen, die im klassischen
Buchhandel tätig sind: der eine oder andere von Ihnen mag die
Befürchtung hegen, dieses neue Vorhaben werde dem ohnehin schon bedrohten
Buchhandel den Todesstoß versetzen - zumal die Bücher der
edition sual
nicht der Buchpreisbindung unterliegen. Auch hier ist - ich sage es, wie es
ist - das Gegenteil der Fall. Die
edition sual
wird zwar ausschließlich in Aldi-Läden vorliegen und zu beziehen
sein, sie wird aber, dies die Hoffnung meines Hauses, für viele Menschen
dieser unserer Republik, die bisher dem Buch keine Aufmerksamkeit schenkten,
Anstoß und Anlaß sein, tiefer in das Abenteuer Lesen einzusteigen.
Mit anderen Worten: wir sind Dialektiker genug, um Ihnen zu prophezeien,
daß ein Erfolg der
edition sual
lunga vista gerade Ihnen, dem preis- und wertgebundenen Buchhandel zugute
kommen wird.
Lassen Sie mich eines noch hinzufügen: aus Anlaß der Vorlegung der
ersten 2 5 Bände der
edition sual
möchte ich Sie und Ihre Freunde herzlich zu einem Empfang im Hause
Suhrkamp einladen: am Samstag, den 17. Oktober 1981, Suhrkamp Haus,
Lindenstraße 29, um 20 Uhr. Es werden ein rustikales Buffet sowie
zahlreiche Suhrkamp-Autoren vorliegen. Im Verlaufe des Abends werde ich erneut
und persönlich das Wort an Sie und Ihre Freunde richten.
Dr. Siegfried Unseld
Aus einem Grußwort von Dr. h. c. Albrecht, Geschäftsführer und
Mittinhaber der Vertriebskette "Aldi":
Dr. Siegfried Unseld bat mich, öffentlich zu unserem neuen Objekt
edition sual
Stellung zu nehmen. Gerne ergreife ich diese Gelegenheit, um Ihnen meine tiefe
Genugtuung über die soeben zustandegekommene Zusammenarbeit
auszudrücken. Dr. Unseld und ich sind sich einig: vollintegriertes
Preisniveau und zielgruppenspezifische Verbraucherstrategie. Ich bin sicher,
unser neues Projekt wird vollinhaltlich klarmachen, daß Geist und
Geschäft keine Gegensätze bleiben."
Parodie auf die Buchankündigungen des Suhrkamp Verlags
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