Anonym I
SUHRKAMP UND ALDI (4)
Tilman Moser
Die Syntax der Bohrung
Zur Psychoanalyse des
Heimwerkers
102 S., Engl. brosch. DM 5,98
Moser führt anhand der Krankheitsgeschichte seines Stiefvaters, des
Spreizdübel-Erfinders Fischer, den Nachweis, wie eng der Zusammenhang von
Triebsublimierung und Kreativität sein kann.
Zu einer sozialpsychologischen Analyse stößt Moser vor, indem er
aufweist, auf welche Weise ein individueller Sublimierungsprozeß soziale
Folgen haben kann. Am Fallbeispiel des Dübelns als
Volksbewegung kommt Moser zum Begriff der imitierten
Sublimierung.
Am Ende des Werkes steht ein philosophischer Exkurs, der erkenntnistheoretische
Neufundierungen anvisiert: der Wiederholungszwang des Bohrens erweist sich als
ein Surrogat für ein Kopf-durch-die-Wand-Stoßen, das auf
systematisch-verzerrte Weise für eine Hermeneutik des unbegriffenen
Anderen einstehen soll.
In einem, der vorliegenden
sual
-Ausgabe des Werkes beigegebenen Brief an seinen Stiefvater schreibt Moser:
Du hast zwar jeden Tag gebohrt, gedübelt, gebohrt, gedübelt,
mich mit deinen Geräuschen überschwemmt, aber erreicht hast du mich
nicht mehr...
Michel Foucault
Vorgaben
Ausblick auf einen
vergangenen Nach-Lass
Aus dem Französischen
von Walter Seitter
228 S. Leinen. DM 9,80
Michel Foucault galt sehr zu
Un-Unrecht
- wie das nun in deutscher
sual
-Übersetzung vorliegende Werk zeigt - als Theoretiker der
Einschließung, der Verrammelung (Burkhardt Lindner).
Foucaults Erinnerungsband läßt die - zuweilen freilich recht
verschwommenen - Konturen eines
anderen
Foucault sichtbar werden. Der Titel des Buches ist - wie immer resp. nie bei
diesem Autor - wörtlich zu nehmen: es enthält, vom 13jährigen
Foucault ebenso vor- wie nachgezeichnete, Entwürfe auf ein Leben, das in
der Zukunft liegend zugleich schon abgeschlossen ist.
Mit für den Autor überraschend schlichten Worten erklärt er das
Paradoxen: Immer zwar schon schlummerte in mir das Damokles-Schwert des
It's all too late
(Peirce) - aber als derart
Zu-Spät
-Gekommener trug ich doch stets den Stachel des Widerspruchs. Meine
Überlegung war ebenso einfach wie transversal: Mach das Gefängnis
total - und du bist frei! So lebte ich im Grunde genommen stets in dem von mir
selber erzeugten Schatten einer lebensphilosophisch verschwärzten
Ambiguität und, füge ich hinzu, ich lebe gut darin. (Foucault)
Mit überraschender Liebenswürdigkeit zeigt der Autor, daß
selbst die schwärzesten Suppen nur mit Wasser gekocht werden, oder, um mit
Foucault selber zu reden: Kein
Diskurs
vermag der frühen Schwärze ihr Dunkel zu nehmen, und das ist,
möchte ich, Ludwig XIV zitierend, hinzufügen, gut so.
Felix Guattari,
Klaus Theweleit
Aldi-Ödipus?
Rhizomatische Strömungs-
lehre im Warenmeer
sual-Essay
412 S. Kart. DM 11,80
Unterschwelliges, so sagen die Autoren in ihrem ersten gemeinsamen
Band, den sie in der
edition sual
gemeinsam vorlegen, schwillt an und wird zu einem ganz ungesunden Brei,
der sich gegenseitig überlappt und die gesamte Psychostruktur einer
Repression subversiver Wunschprojektionen approximiert. Ausgehend von
diesem, in solcher Schärfe bislang ungekannten Verdikt der Moderne, von
dem sie nicht einmal Einzelsubjekt, Gesellschaft und Geschichte ausnehmen,
entwerfen die Autoren komplexe Strömungslehren gesellschaftlich-kognitiven
Handelns, die im
Überströmen
wie im myzelhaft
Subterranen
in ausdifferenzierte Wertsphären münden, über die sich die
beiden freilich uneins sind ... Gerade auch dies ist der Reiz dieser Arbeit:
einander von vorneherein die bewußtseinstheoretischen Ansätze
bezweifelnd, von Paradigmenwechseln zu ausschließender
Zwecktätigkeit stürzend, allein durch verlegerische Tat
zusammengezwungen zu sein.
Daß Waren und ihre Vertriebsökonomie sowie deren auffolgender
Niederschlag im menschlichen Bewußtsein wie in der konkreten
Einzelpsyche letztlich unbearbeitet verbleiben, muß nicht
enttäuschen, denn weder Aldi noch Ödipus, die zusammen dem Werk den
Titel leihen, finden in diesem
sual
-Essay überhaupt Erwähnung. Im
Hin-Weg
-Setzen liegt beider Autoren Bedeutung und mithin auch der Wert des Buches.
Theodor W. Adorno
Temperaturen
Studien zur Physiognomik
der Feinbackkunst
Hrsg. von
Rolf Tiedemann
Im Anhang
Walter Benjamin
Marzipanfiguren am
Kurfürstendamm
276 Seiten, 4 Abb. Ln. 11,20 (im
Sonderangebot)
Daß noch in der aufgesetzten Maraschinokirsche das Ich hab
mein Sach auf nichts gestellt der späten Streichquartette Beethovens
nachzittert, enthüllt erst Mimesis des Trivialen: darin liegt, daß
immanente Kritik der Form dann subaltern bleibt, schreitet sie zur zweiten
Reflexion nicht fort, die allein am Förmchen sich kundtut. Engels hatte
mit seinem ebenso ambitiösen wie erbärmlichen Satz von der Existenz
des Puddings, die man in dessen Verspeisen beweise, sich so weit nicht
getäuscht, als er der Definition Hegels, an einer der großartigsten
Stellen der Ästhetik, von der Aufgabe der Kunst das Fremde zuzueignen,
sich unwissentlich nähert.
Nichts aber ist falscher, zu glauben, man sei so des Fremden schon habhaft
geworden. Nirgends rächt sich Verdinglichung legitimer und
unkorrigierbarer. Im Feinbackwerk verdampft der Tauschwert zum Ornament
dessen, worüber er zu herrschen sich einst anheischig gemacht hatte. Wer
der Patisserie sich nicht stellt, weil er dem zerrütteten Begriff des
Niveaus sich beugt, verfehlt das an der Kunst Wesentliche: ihre
Verfallsgeschichte. (Adorno)
Parodie auf die Buchankündigungen des Suhrkamp Verlags
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