Fritz Mauthner
Walpurga, die taufrische Amme
Nach Berthold Auerbach
Der Meister wird es gern verschmerzen,
Aefft ihn der Lehrling unter Scherzen.
Der Bauer nieste.
Die Bäuerin blickte stolz auf ihre stattliche Tochter Walpurga, als
wollte sie sagen: Welch ein weltkluger Mann.
Der Bauer schien befriedigt von dem Eindrucke seiner Aeußerung. Er
fügte hinzu:
Und noch ein gutes Wort will ich dir für deine Reise schenken: Du
sollst nicht stehlen!
Die Bäuerin glättete ihre blühweiße Schürze; ihr war
es, als hätte sie den Geist ihres Mannes niemals genug gewürdigt. Nun
wünschte sie, alle Nachbarn könnten es hören, wie warmherzig und
neudenkend der Bauer gesprochen.
Jetzt ergriff Walpurga ihr Bündel und das Wort: Lebt wohl, ihr
Lieben, Guten! Und ich möchte es, was mein Herz so voll macht, noch anders
ausdrücken. Also: Auf Wiedersehen. Oder noch anders: Behüt euch
Gott. Oder noch anders: Adje!
Die Bäuerin blickte auf ihren Mann, als meinte sie: Was sagst du zu
diesem Sinnreichtum? Doch der Bauer verwies ihr das Vielreden.
Walpurga verließ die wohnhafte Stube, nachdem sie noch ihrem Muttersmann
und ihrer Vatersgattin einige herzfrohe Bemerkungen zurückgelassen hatte.
Sie ging starkgeistigen Schrittes zwischen Hühnern und Gänsen die
düngerduftige Dorfstraße hinab und zum Dorfe hinaus. Alle Leute
grüßten das taufrische Mädchen; denn sie war fürstliche
Amme geworden.
Draußen, unter der alten Linde, erwartete sie einer. Es war der Joseph
vom Breunerhof. Dessen Jacke war schwarz vom Kohlenruß und auch sein
Gesicht zeigte, um die Augen herum, Streifen von Kohlenruß. Walpurga
schloß scharfsinnig, daß er geweint und sich mit den Aermeln der
Jacke die Augen gewischt habe. Uebrigens hatte sie es gesehen.
Mädle, rief er aus tiefster Brust, fühlst du denn
kei Reu in deinem Herze?
Walpurga blieb stehen. Joseph sah aus dem feuchten Glanze ihrer Augen,
daß ein schöner Gedanke in ihr neu entstanden war. Noch suchte sie
vergebens, ihn zu formen. Jetzt zuckte es um ihre Lippen, jetzt röteten
sich vor Freude ihre Wangen. Sie hatte die Form gefunden und sprach:
Guten Morgen, Joseph.
Joseph rieb die Handflächen zusammen, um sich Mut zu machen; dann sprach
er:
Ich geh ins Wasser, wenn du fürstliche Amme wirst! Schau,
Mädle, ich glaube ja an dich und deine Reinheit, aber die bösen
anderen, besonders der Gruber mit der platten Nase, die hänseln mich und
sagen: Ein rechter Bub soll keine Amme lieben. Gelt, und du thust mir die
Lieb und wirst nit Amme?
Walpurga blickte erst sanft und still auf sich selbst, auf ihre kindlich
schlanke Gestalt, dann hob sie die Augen gegen ihn und schaute zu ihm empor so
keusch, daß er erschrak.
Du Stürmischer, sprach sie, du Wilder und doch Guter,
Reiner! Sie haben dich bethört. Ich nenne sie die Pessimisten. Sie haben
dein reines Herz gefangen genommen. Sie haben dir gesagt, daß ich deiner
nicht wert sei.
Walpurga warf ihren blonden Zopf nach rückwärts, als wollte sie
sagen: So verachte ich euch! Dann fuhr sie fort:
Dir allein will ich sagen, wie ich es zur fürstlichen Amme gebracht
habe. Der Fürst wollte für seinen zu erwartenden hohen
Sprößling eine Amme, deren kindliches Gemüt noch durch keinen
Schatten von Leidenschaft getrübt war, damit der Säugling rein
erhalten bleibe. Es wurde also ein braves Mädchen gesucht, das noch nie
einen Fehltritt begangen, noch nie seine Eltern gekränkt hatte. Sie durfte
noch nie krank gewesen sein und mußte die besten Schulzeugnisse
aufzuweisen haben. Du kennst mich, Joseph, ich war immer die beste
Schülerin im Schönschreiben: darum muß ich als Amme gehen.
Joseph schaute bewundernd zur Sprecherin hinunter; Walpurga freute sich,
daß er sie weitersprechen ließ, und fuhr fort:
Hätte ich etwa die hohe Ehre ausschlagen sollen? Nein, Joseph, auch
ich fühle etwas vom Hauche der neuen Zeit in meinem Herzen. Des neuen
deutschen Reiches Herrlichkeit ist mir aufgegangen, als mein Vater zu mir
sagte: Geh und nähre die Zukunft deines Landes! Hätte ich vielleicht
das hohe Amt von mir weisen sollen? Nein, Joseph, du wirst nicht verlangen,
daß ich des Vaterlandes nur einen Augenblick lang vergesse, um einem
Einzelnen zu genügen! Ich fühle mich in diesem Augenblicke alleins
mit dem Ganzen, ich fühle die Ganzheit in mir. 0, mein Spinoza! Joseph,
völlig verstehst du mich nicht!
Da hast du ein schönes Wort gesprochen, sprach Joseph traurig.
Wenn du mich aber nicht zum Optimisten machst, so daß ich deinen
Worten glauben kann, so bleibt mir doch nichts übrig, als ins Wasser zu
gehen.
Joseph hatte noch einen guten Einfall. Aber derselbe klärte sich zu
keinem festen Gedanken. Darum ging Joseph seiner Wege, um ein Wasser zu suchen,
darin zu ertrinken...
Walpurga aber gefiel bei Hofe gar herzlich. Sie kannte die Welt nicht, sie
wußte nichts von Liebe, nichts von Luxus, nichts von Anstand. Sie war
eine taufrische Amme.
Der hohe Säugling und seine Amme konnten miteinander zufrieden sein. Er
lachte über alles, was sie ihm erzählte, und sie hörte nicht
auf, derb und kräftig mit ihm zu schwatzen. Manches gute Wort hörte
er da von seiner zweiten Mutter.
Wenn er aber schlief und ihr dann verboten war zu schwatzen, da schlich sie
sich hinaus, setzte sich in das tragfeste Gezweig eines alten fürstlichen
Birnbaumes und schrieb so ihre besten Einfälle nieder.
AUS DEM TAGEBUCHE WALPURGAS.
Zweimal zwei ist vier. Bei uns! Ob auch anderswo?
* * *
Es gibt arme Leute und reiche Leute auf Gottes allfreier Welt. Wohl dem, der
es nicht ist.
* * *
Es ist eine Aehnlichkeit zwischen dem Boden der fürstlichen Säle und
dem winterlichen Eise auf dem Dorfteich. Wer ausgleitet, fällt hin. Es
gibt auch einen Unterschied. Welchen aber?
* * *
Wir sind alleins, ich und jedes. Selbst ein Floh hat teil an mir und wenn man
ihn quält, so thut es mir weh, als geschähe mir selbst ein Leid.
Freili nit so stark.
* * *
Mein hoher Säugling war heute sehr durstig. Ich aber sage: Gut und Milch
für König und Vaterland! Ein gutes Wort, das ich einst meinen Kindern
hinterlassen will.
* * *
Ich wollte, ich hätte Papier genug, um all die warmquellenden,
schönen Worte aufzuschreiben, die mir einfallen.
* * *
Alles hat mich hier lieb, um meiner Naivetät willen. Um mir dieselbe zu
erhalten, lese ich täglich gute Dorfgeschichten oder gediegene Werke
über die naive Volksseele.
* * *
Heute bewunderte der Herr Hofdichter meine Bemerkung: Alte Liebe rostet
nicht. Ein schönes Wort; ich schenkte es ihm.
* * *
Ich habe Heimweh. Heute sah ich auf der Spazierfahrt ein Ochsengespann vor
einem Heuwagen. Ich mußte an Joseph denken und sein Mißtrauen.
* * *
Was war in der langen Zeit aus Joseph geworden?
Kaum hatte Walpurga von ihm Abschied genommen, als er daran ging, den Tod in
den Wellen zu suchen.
Er ging zum Dorfteich. Da fiel ihm ein, daß dort die Pferde zur
Tränke gingen und er wollte ihnen ihr Wasser nicht verunreinigen.
Er ging zum Forellenbach. Die waltende Nemesis, rief er. Die
Fische sollen mich verzehren, die ich mit solcher Lust vernichtet habe.
Und er legte sich in den Bach und hielt den Kopf unters Wasser. Als aber sein
Atem zu stocken begann, stieg er wieder ans Land.
Er folgte dem Bach bis zum nächsten Fluß. Da fiel ihm ein, man
würde glauben, er habe geglaubt, man würde ihn wieder aus dem Wasser
ziehen; denn der Fluß war sehr belebt. Er aber wollte nicht als
verunglückter Selbstmörder sein Leben verbringen und folgte dem
Flusse bis zur Hauptstadt.
Dort steht er auf der Brücke und nimmt bereits die schickliche Stellung
ein, um hineinzutauchen in die feuchte Urmutter des Lebens. Da naht ein
fürstlicher Wagen. Es ist Walpurgas letzte Ausfahrt mit dem hohen
Säugling, der morgen schon seiner Amme vom Busen gerissen werden soll.
Walpurga blickt in eine freudenlose Zukunft. Dabei ist ihre Erscheinung so
unschuldig, so ungeboren-rein, daß der Hofdichter ihr den Uebernamen
Walpurga, die taufrische Amme auferfunden hat. Da erschaut sie
ihren Joseph, der zum letztenmal die kleine Barschaft nachzählt, die er in
das Reich der All-Einheit mitnehmen will.
Joseph! ruft sie. Hier ist dei Mädle!
Joseph blickte sich um. Er sah den hohen Säugling an dem zarten Busen des
taufrischen Mädchens, er sah die Zukunft des Vaterlandes eins geworden mit
dem jungfräulichen Ziele seiner selbstischen Sehnsucht, er sah sich
begnadigt, verwandt zu werden den höchsten Gefühlen des Patrioten
durch seinen Glauben an Walpurga. Er konnte sein trunkenes Auge nicht trennen
von dem hohen Säugling und seinem zaghaft wogenden Lager. Auf die Kniee
stürzte er hin und es rief aus ihm:
Mädle, Mädle, du bischt die reinste Amme meines ganze
Lebens!
Der hohe Säugling lächelte den Glücklichen, Seligen huldvoll
zu. Langsam ließ er sein zukunftsreiches Händchen von dem zart
knospenden Pfühl heruntergleiten, auf welchem es geruht, zweimal wischte
er sich mit dem Rücken des Händchens den feingeschnittenen Mund und
sagte: Es ist doch ein tüchtiges Volk.
Das war ein gutes Wort.
Parodie auf Berthold Auerbachs Dorfgeschichten.
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